In der heutigen digitalen Zeit stehen Jugendliche vor der Herausforderung, einen gesunden Umgang mit dem Internet zu finden. Ein wissenschaftlicher Übersichtsartikel von Oktober 2024 aus dem biomedizinischen Journal "Cureus" beleuchtet, wie Achtsamkeitstraining dabei helfen kann, Internetabhängigkeit in dieser Altersgruppe zu reduzieren.
Hintergrund
Internetabhängigkeit ist ein wachsendes Problem, das mit negativen Auswirkungen auf die psychische Gesundheit, das Sozialverhalten und die schulischen Leistungen von Jugendlichen verbunden ist. Traditionelle Therapieansätze stoßen oft an ihre Grenzen, weshalb alternative Methoden wie Achtsamkeit in den Fokus rücken. Wie kann Achtsamkeit helfen? Die Antworten sind sicher für interessant für Eltern, Betreuungspersonen, Pädagoginnen und Therapeutinnen, die Jugendliche im digitalen Zeitalter unterstützen möchten – aber auch für Betroffene selbst.
Was ist Internetabhängigkeit?
Internetabhängigkeit (IA) wird in dem Artikel als eine psychologische Abhängigkeit definiert, unabhängig davon, welche Aktivitäten online durchgeführt werden. IA wird durch intensiven Zwang zur Internetnutzung, Schwierigkeiten bei der Zeitkontrolle, Reizbarkeit bei Unterbrechungen und reduzierte soziale Interaktionen in der realen Welt charakterisiert. Sie wird als Verhaltenssucht und Impulskontrollstörung klassifiziert.
Zu den typischen Merkmalen zählen übermäßiger Gebrauch, Entzugssymptome (wie Anspannung, Angst und Depression), Toleranzentwicklung (mehr Internetnutzung für dieselbe Zufriedenheit) und negative Konsequenzen wie Müdigkeit, schlechte Zeitplanung und soziale Isolation.
Was ist Achtsamkeit?
Achtsamkeit bedeutet, den gegenwärtigen Moment bewusst und ohne Wertung wahrzunehmen. Durch regelmäßige Achtsamkeitsübungen können Jugendliche lernen, ihre Gedanken und Emotionen besser zu steuern und impulsives Verhalten zu reduzieren.
Highlights
- Reduktion von Stress und Angst: Achtsamkeitstraining kann helfen, Stress und Ängste abzubauen, die oft mit exzessiver Internetnutzung einhergehen.
- Verbesserung der Selbstkontrolle: Durch Achtsamkeit entwickeln Jugendliche ein besseres Bewusstsein für ihre Online-Gewohnheiten und können diese gezielter steuern.
- Förderung sozialer Kompetenzen: Achtsamkeit stärkt Empathie und Kommunikationsfähigkeiten, was zu einer besseren sozialen Interaktion und weniger Rückzug ins Internet führt.
Was ist Achtsamkeitstraining konkret?
Die Integration von Achtsamkeitstraining in den Schulalltag oder außerschulische Programme kann Jugendlichen Werkzeuge an die Hand geben, um einen gesunden Umgang mit digitalen Medien zu entwickeln.
Achtsamkeitstraining umfasst verschiedene Methoden, die darauf abzielen, die bewusste Wahrnehmung des eigenen Körpers, der Gedanken und Emotionen zu schärfen. Zu den häufig verwendeten Techniken gehören:
- Atemübungen: Durch kontrollierte Atemtechniken wird der Geist beruhigt und die Aufmerksamkeit auf den gegenwärtigen Moment gelenkt.
- Körperwahrnehmung (Body Scan): Der Fokus liegt auf der bewussten Wahrnehmung einzelner Körperbereiche, um Spannungen zu erkennen und loszulassen.
- Meditation: Sitzmeditationen fördern die innere Ruhe und stärken die Fähigkeit, Gedanken und Gefühle nicht wertend zu beobachten.
- Achtsame Bewegungen: Sanfte Dehnübungen oder Yoga unterstützen eine achtsame Verbindung zwischen Körper und Geist.
Die Programme umfassen in der Regel strukturierte Sitzungen über mehrere Wochen mit wöchentlichen Gruppentreffen, angeleiteten Meditationen und praktischen Übungen für den Alltag. Ziel ist es, die emotionale Regulierung zu stärken, Stress abzubauen und das Bewusstsein für eigene Verhaltensmuster wie exzessive Internetnutzung zu schärfen.
Beispiel eines Trainingsprogramms
Ein klassisches MBSR-Programm (Mindfulness-Based Stress Reduction) besteht aus:
- 8 Wochen Training: Wöchentliche Sitzungen von 2-3 Stunden.
- Tägliche Übungen zu Hause: Geführte Meditationen und Achtsamkeitsübungen von etwa 45 Minuten pro Tag.
- Achtsamkeitstag: Ein ganztägiger Retreat in der Mitte des Programms.
Diese Programme sind so strukturiert, dass sie langfristige Verhaltensänderungen unterstützen und insbesondere Jugendlichen helfen können, mit impulsiven Reaktionen und emotionalem Stress besser umzugehen.
Wirkmechanismen der Achtsamkeit
1. Stärkung der Selbstregulation
Achtsamkeit verbessert die Selbstwahrnehmung und hilft Jugendlichen, ihre automatischen Verhaltensmuster zu durchbrechen. Dies betrifft insbesondere impulsive Reaktionen auf digitale Reize wie Benachrichtigungen oder Social-Media-Updates.
Mechanismus:
Erhöhte Aufmerksamkeit: Jugendliche werden sich durch Meditation und Atemübungen ihrer Impulse bewusster.
Bessere Emotionskontrolle: Achtsamkeit fördert die Fähigkeit, negative Gefühle wie Langeweile oder Stress wahrzunehmen, ohne sofort nach digitalen Ablenkungen zu greifen.
2. Reduktion von Stress und negativen Emotionen
Exzessive Internetnutzung wird oft als Bewältigungsstrategie für Stress, Angst oder soziale Isolation verwendet. Achtsamkeit trainiert den achtsamen Umgang mit Stressoren und fördert emotionale Stabilität.
Mechanismus:
Stressabbau: Atemtechniken und Body-Scan-Meditationen aktivieren das parasympathische Nervensystem, das den Körper beruhigt.
Entwicklung innerer Ruhe: Regelmäßiges Achtsamkeitstraining reduziert das Bedürfnis, sich durch Online-Aktivitäten abzulenken.
3. Veränderung der Belohnungsverarbeitung
Internetabhängigkeit wird durch Dopaminausschüttungen im Gehirn verstärkt, die durch Likes, Nachrichten oder Spielgewinne ausgelöst werden. Achtsamkeit hilft, diesen Belohnungsmechanismus zu regulieren.
Mechanismus:
Bessere Impulskontrolle: Durch achtsames Wahrnehmen von Verlangen können Jugendliche „Belohnungsreize“ erkennen und den Impuls, sofort online zu gehen, kontrollieren.
Bewusste Entscheidungen: Das Training unterstützt die Fähigkeit, bewusster zwischen echten Bedürfnissen und digitalen Versuchungen zu unterscheiden.
4. Förderung sozialer Kompetenzen und Empathie
Internetabhängigkeit ist häufig mit sozialer Isolation verbunden. Achtsamkeit fördert durch Mitgefühls- und Empathieübungen den Aufbau realer sozialer Verbindungen.
Mechanismus:
Empathie-Training: Übungen wie „liebende Güte“-Meditationen stärken das Mitgefühl für andere, was die Bindung zu realen Menschen fördern kann.
Verbesserte Kommunikation: Jugendliche lernen, achtsam zuzuhören und sich auf zwischenmenschliche Begegnungen einzulassen, statt sich digital zurückzuziehen.
5. Förderung der Interozeption (Körperwahrnehmung)
Internetabhängigkeit führt oft zu Vernachlässigung körperlicher Bedürfnisse wie Bewegung, Ernährung und Schlaf. Achtsamkeit hilft, Körpersignale bewusst wahrzunehmen und angemessen darauf zu reagieren.
Mechanismus:
Bessere Selbstfürsorge: Durch Körperwahrnehmungsübungen werden Jugendliche für Hunger, Müdigkeit und Anspannung sensibler und entwickeln gesündere Routinen.
Achtsamkeit wirkt also auf mehreren Ebenen: emotional, kognitiv und körperlich. Durch die Stärkung der Selbstwahrnehmung, Stressregulation und Bewusstseinsbildung für automatische Verhaltensmuster können Jugendliche schrittweise eine gesunde Beziehung zum Internet entwickeln.
Fazit
Achtsamkeit bietet einen vielversprechenden Ansatz, um Internetabhängigkeit bei Jugendlichen entgegenzuwirken. Durch die Förderung von Selbstbewusstsein und emotionaler Regulierung können junge Menschen lernen, das Internet bewusst und maßvoll zu nutzen. Dieser Artikel bietet wertvolle Einblicke für Eltern, Pädagoginnen und Therapeutinnen, die Jugendliche im digitalen Zeitalter unterstützen möchten.
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Literatur
Samanta, P., Mohapatra, I., Mitra, R., Mishra, J., Mahapatra, P., Mohakud, N. K., Pattnaik, J. I., Behera, M. R., & Nanda, P. (2024). Mindfulness as a Path to Freedom from Internet Addiction in Adolescents: A Narrative Review. Cureus, 16(10), e72544. https://doi.org/10.7759/cureus.72544
📸 von Danilo Rios auf unsplash
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